Mystik für alle: Ein vergessener Mystiker - Hugo de Balma in neuer Ausgabe

Die wenigsten Menschen, sogar ziemlich gut gebildete, kennen Hugo de Balma. Er war ein Kartäuserschriftsteller des 13. Jahrhunderts und schrieb eines der vermutlich einflussreichsten mystischen Traktate der Hochscholastik. Der Text wurde unter seinen Anfangsworten "Viae Sion lugent - Die Wege nach Zion trauern" oder unter seinem Sachtitel "De Mystica Theologia - Mystische Theologie" oder "De Triplici Via ad Sapientiam - Der Dreifache Weg zur Weisheit" überliefert. Etwa 100 Jahre nachdem der Text geschrieben wurde setzte erst die Überlieferung ein, soweit wir wissen. Nochmals etwa 100 Jahre später die Überlieferung des Namens des Autors. Dennoch war er für alle Autoren, die nach 1280 schrieben einer der wichtigsten Ecksteine mystischer Literatur. Meister Eckhart zitiert ihn und baut auf ihn auf, die niederländische und spanische Mystik ebenso. Die Spiritualität des Ignatius von Loyola und des Jesuitenordens sind massgeblich von Hugos Gedanken beeinflusst. Und dennoch wissen wir praktisch nichts über diesen Autor. Alles was wir in den Kartäuserquellen finden ist ziemlich sicher falsch. Warum ist das so? Warum verschwindet ein Autor, dessen Text so wichtig war, im historischen Dunkel?

Diese Fragen haben mich, als ich den Text 1990/1991 zum ersten Mal las, seither immer beschäftigt. Damals machte ich daher diesen Text zum Thema meiner Promotion in Wissenschaftstheorie und Wissenschaftsgeschichte bei Prof. Oeser in Wien. Im Zuge dieser Promotion hatte ich den Text übersetzt und historisch verortet und die Arbeit 1994 publiziert [1]. Später, 2010, habe ich dann eine systematische Interpretation, die eigentlich ursprünglich schon Teil meiner Arbeit hätte werden sollen, nachgeliefert [2]. Nun habe ich endlich Zeit gefunden, die längst vergriffene deutsche Übersetzung nochmals zu überarbeiten, meine historischen Studien etwas zu aktualisieren und nochmals der Frage nach der Person des Autors nachzugehen. Das Ergebnis ist eine neue deutsche Ausgabe, die gerade im Vier-Türme-Verlag in Münsterschwarzach erschienen ist:

http://www.vier-tuerme-verlag.de/autoren/d/de-balma-hugo/

Ich habe eine ganz neue, 100seitige Einleitung geschrieben, in der ich meine früheren Erkenntnisse zusammengefasst und neuere Befunde nachgeliefert habe über die Frage, wer der Autor war und beschreibe kurz den Textaufbau und die Botschaft. Es folgt die deutsche Übersetzung des Textes zusammen mit einem ausführlichen Kommentar.

Ich freue mich, dass Hugos Gedanken nun hoffentlich eine breitere Leserschaft erreichen können. Denn er wollte damals, etwa 1260, etwas, was wohl zu früh und zu radikal war: Mystik für alle. Vielleicht ist es heute an der Zeit?

Wer ein wenig schnuppern will, findet hier zwei ältere Texte von mir in wissenschaftlichen Zeitschriften [3, 4].


[1] Walach, H. (1994). Notitia experimentalis Dei - Erfahrungserkenntnis Gottes. Studien zu Hugo de Balmas Text "Viae Sion lugent" und deutsche Übersetzung. Salzburg: Institut für Anglistik und Amerikanistik der Universität Salzburg. Analecta Cartusiana 98:1.
[2] Walach, H. (2010). Notitia Experimentalis Dei - Experiential Knowledge of God: Hugh of Balma’s Mystical Epistemology of Inner Experience – A Hermeneutic Reconstruction. Salzburg: Institut für Anglistik. Analecta Cartusiana 98:2.
[3] Walach, H. (1996). Notitia experimentalis Dei - Was heisst das? - Hugo de Balmas Begriff der Erfahrungserkenntnis Gottes - Versuch einer Rekonstruktion. In J. Hogg (Ed.), The Mystical Tradition and The Carthusians. Vol 5 (Vol. 130:5, pp. 45-66). Salzburg: Institut für Anglistik und Amerikanistik der Universität Salzburg.
[4] Walach, H. (2009). A medieval Carthusian monk’s recipe to multiple kensho: Hugh of Balma’s approach to mystical union and some striking similarities to modern Zen teaching. Studies in Spirituality, 19, 199-225.




Notitia experimentalis Dei Aufsatz Analecta Cartusiana 1996 (1.36 MB) 2009_Studies in Spirituality_Walach_Hugh of Balma and Kensho (172 KB)