Unsere süße, glykotoxische Ära

Wie würde sich das anhören, wenn wir bei einer Begrüßung sagen würden: „Na du glykotoxischer Knuffel, wie geht’s?“ Das wäre eine akkurate Übersetzung von „Na du süßer Knuffel“ ins Wissenschaftsdeutsch.

Seit kurzem bahnt sich eine stille Revolution in der Ernährungslehre an, die bei uns in Deutschland noch nicht so recht zur Kenntnis genommen worden ist. Der Trend eines halben Jahrhunderts, Fett für alle medizinischen Übel der Neuzeit verantwortlich zu machen, von koronarer Herzkrankheit bis zu metabolischem Syndrom und Adipositas scheint gebrochen. Ein deutliches Zeichen war für mich, als JAMA Internal Medicine die Arbeit von Historikern (!!!) veröffentlichte.[1] Diese zeigte, wie die Zuckerindustrie in den 60er Jahren, als Epidemiologen noch Zucker und Fett gleichermaßen als mögliche Ursachen für kardiovaskuläre Erkrankungen im Visier hatten, über ein paar strategische Dollars dafür sorgte, dass ein autoritativer Review im New England Journal of Medicine die Waage in Richtung Fett zeigen ließ [2]. Fett war von da ab der Schurke. Nationale Ernährungsleitlinien sorgten dafür, dass „low fat“ zu einem „Gesundheitsstandard“ wurde. Fett wurde wo möglich durch Kohlehydrate – vor allem Einfachzucker in Bindemitteln, Fruchtzucker und dergleichen ersetzt. Und die Leute wurden dicker und kränker, immerzu, so dass das metabolische Syndrom schon zur neuen Volksepidemie ausgerufen wurde. Befeuert wurde das ganze durch ein paar Platzhirsche wie Ancel Keys, der über die prominente Platzierung von selektierten Daten aus einer „6 Länder Studie“[3], die eigentlich eine „22 Länder Studie“ war, bei der aber die unpassenden Länder einfach weggelassen wurde, prominent behauptete Fett sei an allem schuld. Dass die Daten von Keys gezinkt waren, haben übrigens Statistiker schon kurz darauf belegt [4], aber das wollte dann schon keiner mehr wissen.

Wie es scheint, sind wir alle einem grandiosen Irrtum aufgesessen, international und global, ein halbes Jahrhundert lang. Denn der Übeltäter ist nicht das Fett, sondern der Zucker, genauer gesagt, die Kohlehydrate der einfachen Sorte, die ja rasch in Zucker und wenn im Überfluß vorhanden in Triglyceride umgebaut werden und so in die Fettdepots wandern.

Das dürfte auch der Grund sein, warum ketogene Diäten, also solche, bei denen der Körper sich vor allem von Ketonkörpern ernährt, die bei der Verstoffwechslung von Fett erzeugt werden, allmählich beforscht werden.[5, 6] Praktisch alle Körperzellen – außer die meisten Tumorzellen – können sich von solchen Ketonkörpern ernähren, auch Neuronen. Daher ist es auch falsch zu sagen, das Gehirn braucht Zucker. Es braucht Energie. Die kann es aus Ketonkörpern gewinnen. Deswegen fällt man auch beim Fasten nicht ohnmächtig um. Und einige Forscher gehen sogar davon aus, dass Alzheimer und Demenzerkrankungen als Typ III Diabetes angesprochen werden können: aufgrund der Insulinresistenz der Neuronen verhungert das Gehirn trotz, oder aufgrund, eines Überangebots von Zucker.[7]

Fett, statt Zucker, wird also die neue Devise heissen. Vielleicht sagen wir dann in Zukunft: „Na, du fetter Knuffel“?



1             Kearns CE, Schmidt LA, Glantz SA: Sugar industry and coronary heart disease research: A historical analysis of internal industry documents. JAMA Internal Medicine 2016;176:1680-1685.

2             McGandy RB, Hegsted DM, Stare FJ: Dietary fats, carbohydrates and atherosclerotic vascular disease. New England Journal of Medicine 1967;277:186-192.

3             Keys A: Atherosclerosis: A problem in newer public health. Journal of Mount Sinai Hospital 1953;20:118-139.

4             Yerushalmy J, Hillboe HE: Fat in the diet and mortality from heart disease. A methodologic note. New York State Journal of Medicine 1957;57:2343-2354.

5             Abbasi J: Interest in the ketogenic diet grows for weight loss and type 2 diabetes. JAMA 2018;319:215-217.

6             Bueno NB, de Melo ISV, de Oliveira SL, da Rocha Ataide T: Very-low-carbohydrate ketogenic diet v. low-fat diet for long-term weight loss: a meta-analysis of randomised controlled trials. British Journal of Nutrition 2013;110:1178-1187.

7             de la Monte S, Wands JR: Alzheimer's Disease is type 3 diabetes - evidence reviewed. Journal of Diabetes Science and Technology 2008;2:1101-1113.